Kinder verstehen
Schön, dass du dich für Kinder interessierst und in ihre Welt eintauchen willst. Wenn hier von Kindern die Rede ist, sind Kinder im frühen Schulkindalter von ca. 5 bis 9 Jahren gemeint.
Kinder erleben die Welt anders als Erwachsene, und sie verhalten sich auch anders. Für Erwachsene ist es oft schwierig, dies nachzuvollziehen. Was macht denn die «Welt der Kinder» aus? Der erfolgreiche Kinderbuchautor, Geschichtenerzähler und langjährige Kindergartenlehrer Lorenz Pauli beschreibt sie so:
In diesem Lernbaustein lernst du einige Besonderheiten von Kindern kennen und wie du sie unterstützen kannst, damit sie im Sinne von Lorenz Pauli ihr Terrain erweitern können.
Die Welt der Kinder ist noch klein und hängt stark vom Umfeld der Erwachsenen ab. Kinder sind besonders verletzlich. Um gesund und sicher aufwachsen und sich entfalten zu können, brauchen Kinder einen geschützten Freiraum und müssen ernst genommen werden. Das Schutzbedürfnis der Kinder wird in der UNO-Kinderrechtskonvention in Form von Kinderrechten garantiert. Diese basieren auf Grundprinzipien wie Gleichbehandlung und Wahrung des Kindeswohls. Für diesen Schutzraum sind wir Erwachsenen und damit auch du als J+S-Leiterin oder J+S-Leiter verantwortlich.
Wenn du mit der Maus über das Bild fährst, entdeckst du vier kindliche Besonderheiten, die dir helfen, Kinder und ihr Verhalten besser zu verstehen.
Die kindliche Entwicklung ist vielschichtig. Wir greifen hier ein paar Aspekte heraus, die du für ein vielseitiges und kindergerechtes Bewegungs- und Sportangebot beachten solltest.
Motivation
Kinder wollen ihre Umgebung selbst erkunden und verstehen. Sie scheuen oft keine Anstrengung und wollen herausgefordert werden. Wenn sie Probleme bekunden, bevorzugen sie indirekte Hilfen. Das Erfolgserlebnis, die Aufgabe selbst gemeistert zu haben, motiviert und stärkt das Selbstvertrauen. Deine Hauptaufgabe besteht darin, die intrinsische Motivation der Kinder zu erhalten, ihre Vorlieben zu erkennen und zu unterstützen.
Du kannst den Motivationskreislauf in Gang halten, indem du Kindern Gelegenheit zum Ausprobieren, Üben und Entdecken gibst, Erfolgserlebnisse ermöglichst und die Freude an der Bewegung ins Zentrum deiner J+S-Aktivitäten setzt.
Konzentration/Aufmerksamkeit
Kinder lassen sich leicht ablenken. Deshalb sind Rituale eine wichtige Stütze. Sie lenken die Aufmerksamkeit, strukturieren die Lektion (zeitlich) und geben Orientierung (örtlich). Setze Rituale und Signale immer wieder und immer gleich ein. Vertraute und wiederkehrende Abläufe sowie klare und begründete Regeln geben den Kindern Sicherheit.
Lernen
Besonders gut lernen Kinder am Modell. Sie ahmen nach, was sie z. B. bei Eltern, J+S-Leiterinnen und J+S-Leitern oder anderen Kindern sehen und hören. Deshalb ist es wichtig, nach Möglichkeit immer vorzuzeigen, oft und lernwirksam zu wiederholen, an Bekanntes anzuknüpfen und nur wenig auf einmal zu vermitteln. Lebe mit Begeisterung vor, was du vermitteln möchtest.
Selbstkonzept
Es ist das Bild, das wir von uns selbst haben und ein zentraler Aspekt des Lebens. Das Selbstkonzept bildet sich im Kindesalter aus und bleibt über das ganze Leben relativ stabil.
Welche drei Aspekte des Selbstkonzepts sind für deine Arbeit mit Kindern zentral und weshalb?
Das Selbstkonzept beinhaltet die Selbstbeschreibung, das Selbstvertrauen und die Selbstwirksamkeit. Sie sind zentral, um ein positiv-realistisches Selbstkonzept zu entwickeln. Ermögliche jedem Kind regelmässig echte Erfolgserlebnisse.
Beziehung zu Gleichaltrigen
Mit zunehmendem Alter verbringen Kinder immer mehr Zeit mit anderen Kindern. Sie lernen den Umgang miteinander, indem sie zu zweit und als Gruppe zusammenarbeiten. Kinder verhalten sich manchmal aggressiv und verletzend, um ihre Interessen durchzusetzen. Sie helfen aber auch gerne und spenden Trost. Je älter sie sind, desto weniger sehen sie sich im Zentrum und es gelingt ihnen, sich in andere einzufühlen. Gib ihnen Gelegenheit zum sozialen Lernen und stehe ihnen bei Bedarf zur Seite, wenn es z. B. darum geht zu lernen, wie man Streit schlichtet.
Emotionen
Kinder sind stolz auf eigene Erfolge und schämen sich, wenn sie scheinbar Einfaches nicht schaffen. Sie versuchen ihre negativen Gefühle zu regulieren, indem sie sich ablenken oder sich im Spiel beruhigen. Sie merken oft selbst, was ihnen dabei hilft. Gleichwohl ist es wichtig, dass du sie dabei begleitest und unterstützt. Zeige ihnen auf, wie du selbst z. B. mit Erfolg und Niederlagen umgehst.
Bewegungs- und Spielgrundformen
Kinder erlernen neue Bewegungen, indem sie an bereits vorhandenen Grundformen anknüpfen. Je breiter die Bewegungserfahrungen und je stabiler die Bewegungsgrundformen sind, desto komplexere Bewegungen können sie später meistern. Die folgende Grafik zeigt die exemplarische Entwicklung einzelner Bewegungsgrundformen (Treuthardt, 2011; nach Roth, 1982). Aus dem Greifen eines Gegenstandes des Kleinkindes wird beispielsweise später das Fangen eines Balls.
Spielen ist die wichtigste Tätigkeit von Kindern. Es ist freiwillig, spannend und herausfordernd. Kinder lernen im Spiel beiläufig und unbewusst. Wenn du Kinder Bewegungsgrundformen spielerisch üben lässt, können sie sich länger und besser konzentrieren.
Wie bei den Bewegungen gibt es auch beim Spiel Grundformen.
Förderung der Vielseitigkeit
Indem du verschiedene Bewegungs- und Spielgrundformen in deine J+S-Aktivitäten einbaust, förderst du Kinder vielseitig. Achte darauf, dass du auch die Beidseitigkeit der Kinder förderst. Lass sie beispielsweise mit der linken und rechten Hand werfen und fangen, auf dem linken und rechten Fuss balancieren und hüpfen, nach links und rechts drehen. Mache Fangspiele nicht nur im Vorwärts- sondern auch im Seitwärts- und Rückwärtslaufen, im Krebsgang, im Vierfüsser oder im Springen. Fördere das Balancieren z. B. mit einem kleinen Kampfspiel.
Mit dieser vielseitigen Förderung von Bewegung und Spiel stärkst du langfristig die Motivation, bildest die Basis für das Erlernen von Sportarten und förderst das lebenslange Sporttreiben. Die Kinder lernen dabei ihre Vorlieben kennen. Dies erleichtert ihnen später auch einen allfälligen Sportartenwechsel.
Umgebungswechsel
Die Bewegung auf Sand, Waldboden, Schnee oder Turnhallenboden spricht die sinnliche Wahrnehmung unterschiedlich an, stellt neue Herausforderungen und kann zu unvergesslichen Erlebnissen führen. Barfusslaufen verstärkt diese Aspekte auf einfache Art.
Verlasse hin und wieder die gewohnte Umgebung und lasse die Kinder in neue Welten eintauchen. Lasse dich von ihrer Fantasie zu neuen Ideen inspirieren, wie du dein Angebot abwechslungsreich und spannend gestalten kannst.
Lachen, lernen, leisten
Kinder haben einen ausgeprägten Bewegungsdrang. In Kombination mit ihrer grossen Leistungsbereitschaft und Spielfreude lässt sich dieser perfekt im Sport nutzen. Kinder wollen lachen, lernen und leisten («3 L»). Achte darauf, dass deine J+S-Angebote allen drei Aspekten gerecht werden.
Keine kleinen Erwachsenen
Kinder haben andere biologische Voraussetzungen als Jugendliche oder Erwachsene. Sie sind beispielsweise sehr gelenkig und beweglich. Während ihre Langzeitausdauer noch sehr begrenzt ist, ermüden sie in intensiven Spielen mit kurzen Pausen (z. B. Fang- oder Ballspiele) deutlich weniger und erholen sich rasch nach kurzen Belastungen (bis ca. eine Minute). Lasse es zu, wenn Kinder z. B. in einem Fangspiel eine kurze Pause machen. Sie können die Belastung sehr gut selbst steuern und trainieren so kindergerecht ihre Ausdauer.
Gute Belastbarkeit
Dank günstigen Körperproportionen sind Kinder (z. B. im Gegensatz zu Jugendlichen während eines Wachstumsschubs) gut belastbar. Mit kindergerechten, spielerischen Aufgaben wie bei «Power to Win» werden deine Kinder flinker, robuster und agiler und verletzen sich letztlich weniger. Lasse Kinder beispielsweise oft hüpfen und springen. Das ist für den Aufbau einer genügend hohen Knochendichte wichtig und wirkt sich bis ins hohe Alter positiv aus. Dazu sind intensive Belastungen auf harter Unterlage nötig.
Weshalb ist es wichtig, dass du Kinder oft hüpfen und springen lässt?
Intensive Belastungen auf harter Unterlage sind nötig, um eine genügend hohe Knochendichte aufzubauen. Dies ist nur im Kindesalter möglich und wirkt sich positiv bis ins hohe Alter aus.
Die kindliche Entwicklung verläuft sehr individuell. Einzelne Kinder entwickeln sich deutlich schneller und haben im Wetteifern entsprechende Vorteile gegenüber Gleichaltrigen. Dazu kommt, dass sich die physischen und psychischen Bereiche bei einem einzelnen Kind manchmal zeitlich versetzt entwickeln. Wenn du dein Wissen dazu vertiefen möchtest, empfehlen wir dir die bfu-Broschüre «Entwicklungspsychologische Grundlagen».
Weitere konkrete und bewährte Tipps für die Gestaltung von J+S-Aktivitäten für Kinder findest du unter «Prinzipien» in den Lernbausteinen «Kindergerecht vermitteln» und «Kinder fördern».
Auf den folgenden Karten findest du jeweils ein Zitat. Lass es kurz auf dich wirken. Klick dann auf die Karte und beantworte für dich die Frage, die dazu erscheint.
«In der kleinen Welt, in welcher Kinder leben, gibt es nichts, was so deutlich von ihnen erkannt und gefühlt wird, als Ungerechtigkeit.»
Charles Dickens
«Kinder machen nicht was wir sagen, sondern das, was wir tun.»
Jesper Juul
«Was man als Kind geliebt hat, bleibt im Besitz des Herzens bis ins hohe Alter.»
Khalil Gibran
«Mit Kindern arbeiten heisst, Kinder ernst nehmen. Das bedeutet, dass Kinder den Weg mitgestalten, den wir zusammen gehen. Vielleicht gelangen wir dann nicht zu meinem Ziel, dafür zu unserem gemeinsamen.»
Lorenz Pauli
Im Intro hat Lorenz Pauli betont, dass Kinder ganz im Hier und Jetzt leben, ohne Wenn und Aber. Was aus seiner Sicht die «Welt der Kinder» auch noch ausmacht:
Wo versteckt sich die Magie in deiner Sportart? In welche Tiere, Pflanzen und fantastischen Welten könnten sich Sportgeräte und Umgebungen in deinen Aktivitäten verwandeln?
Der Lernbaustein hat hoffentlich deine Lust und Neugier geweckt, dich auf die Kinder und ihre Welt einzulassen. Wenn du noch mehr über Lorenz Pauli und seinem Umgang mit den Kindern erfahren möchtest, empfehlen wir dir dieses Gespräch (Dauer: 14 min.) anzuschauen.